Vorwort

Auf die Bitte einiger guter Freunde möchte ich von den Ereignissen erzählen, die im Sommer letzten Jahres unser Leben bestimmten und deren Nachwehen noch heute auf uns einwirken. Da seither schon einige Zeit verronnen ist, sind meine Erinnerungen wohlmöglich an einige Momente versüßend oder dramatisierend verschoben worden - dennoch wird mir auch in Zukunft diese Woche so intensiv im Gedächtnis bleiben, wie kaum irgendeine andere in meinem Leben.


Sonntag, 11.08.2002

Es ist ein trüber Sonntagnachmittag mitten im deutschen Sommer. Wir sitzen am gedeckten Kaffeetisch in unserem kleinen Einfamilienhaus und hören dem Wind zu, wie er die Regentropfen gegen die Scheiben der schmalen Erkerfenster peitscht. Schön ist es hier. Seit fast acht Jahren wohnen wir im Gewerbegebiet-Süd von Röderau vor den Toren der ehemaligen Stahlwerkerstadt Riesa. Der Blick von unserer Terrasse über die Mohnfelder und die Elbe auf deren Silhouette verrät aber kaum noch etwas davon. Nur noch zwei verlorene Schornsteine ragen in den wolkenbehangenen Himmel.

Seit einigen Tagen befinde ich mich in den Semesterferien. Die Zeit der stressigen Prüfungen sind Vergangenheit und die Zeit der aktiven Erholung und der Reisen haben begonnen. Nächsten Freitag starte ich mit meinen Riesaer Freunden in den Norden nach Markgrafenheide, wo wir für eine Woche einen Bungalow auf dem ehemals größten Zeltplatz der DDR gemietet haben. Und direkt anschließend werde ich von Rostock aus mit meinen Großenhainer Kumpels in den Südosten nach Bulgarien an das Schwarze Meer abheben. Vorfreude ist die schönste Freude, und genau diese verspüre ich in diesen Tagen. Vorher muss ich allerdings in meiner zweiten Heimat Dresden, wo ich seit zwei Jahren studiere, noch einige Erledigungen besorgen, weswegen ich noch heute in die Landeshauptstadt aufbrechen werde.

Bevor der Zug ankommt, muss ich auf der Bahnhaltestelle von Glaubitz noch ein wenig warten. Das neue gläserne Wartehäuschen auf dem neu gepflasterten Bahnsteig ist heute ziemlich eng bevölkert von den wartenden Menschen, die sich vor dem immer stärker werdenden Regen in Sicherheit bringen wollen. Ich zwänge mich ins Trockene. Vor mir beobachte ich die prallen Regentropfen, wie sie pfeilähnlich in einem dichten Vorhang niederfallen. An den saftig grünen Sträuchern und Gräsern perlt das feuchte Nass ab, die rostigen Gleise sind von einem glänzendem Film überzogen und auf dem Gehweg bilden sich viele große und kleine Luftbläschen. Einen solchen Regenguss bekommt man in unseren Breitengraden nur selten zu sehen.

Mein kleines Zimmer inmitten der Dresdner Neustadt besitzt eine schlauchartige Form an deren einem Ende sich ein großes Fenster befindet. Auf dessen Fensterbrett sitze ich. Mit Musik von Westernhagen aus dem Computer im Hintergrund und einer Zigarette im Mund lasse ich diesen Tag ausklingen. Der Hof des Hauses mit seinem vielen Grün schläft im Dunkeln. Selbst in der dahinter liegenden Jugendbegegnungsstätte Spinnerei herrscht ungewöhnliche Ruhe. Nur der Regen hört nicht auf zu wüten. Er scheint mir immer kräftiger zu werden, ohne ein Anzeichen von Schwäche.


Montag, 12.08.2002

Gleich nach dem Aufstehen möchte ich aus dem Fenster schauen. Allerdings kann ich nichts erkennen durch die stark beschlagenen Scheiben. Nachdem ich das Fenster geöffnet habe, weht mir ein kühler frischer Morgenwind ins Gesicht. Draussen hat sich gegenüber gestern nicht viel geändert. Der Himmel ist wolkenverhangen. Die dicken schwarzen Wolken entleeren sich unaufhörlich. Mehrmals blicke ich an diesem Tag aus dem Fenster. Anfangs mit der Hoffnung, dass der Regen etwas nachgelassen haben könnte, am Ende nur noch aus Sensationslust noch nie zuvor soviel Niederschlag am Stück gesehen zu haben. Den ganzen Tag regnet es in Strömen, weswegen ich mich entschliesse den heutigen Tag in den eigenen trockenen vier Wänden zu verbringen.


Dienstag, 13.08.2002

Gestern abend ist es doch wieder etwas später geworden, also kein Grund zu zeitig aus dem Bett zu springen. Allerdings weckt mich gegen sieben Uhr das Telefon, ein Anruf von zu Hause. Mein Vater berichtet mir vom überschwemmten Dresdener Hauptbahnhof und macht mich darauf aufmerksam, dass ich vielleicht schon eher wieder nach Röderau kommen muss. Wir wohnen nicht weit von der Elbe entfernt, weswegen wir bei weiter anhaltenden Regen auf das Schlimmste vorbereitet sein müssen. Ich halte diesen frühen Anruf und die verbreiteten Ängste doch für etwas stark übertrieben, lasse mir aber natürlich nichts anmerken. Als der Anruf vorbei ist, bin ich froh mich noch einmal hinlegen und weiterschlafen zu können.

Nach einem ausgiebigen Frühstück begebe ich mich auf den Weg zum Studentenwerk, das auf der anderen Elbseite in der Nähe des Hauptbahnhofes liegt. Ich fahre mit der Strassenbahn vom Albertplatz Richtung Altstadt. Es hat zwar aufgehört zu regnen, aber die Luft ist noch sehr feucht und die Strassen sehr nass. Nach zwei Stationen steige ich schon wieder aus und folge den Menschenmassen, die auf der Carolabrücke über die Elbe strömen. Die Schaulustigen kämpfen in gebeugter Haltung gegen den Wind an, der über der Elbe weht. Als ich mich in der Mitte der Brücke befinde, habe ich ein Gefühl als ob ich mich gerade auf einem Deich an der Nordseeküste befinde. Den peitschenden nasskalten Wind, die tiefhängenden grauen Wolken und das Rauschen der sich überschlagenden Wellen kenne ich vom Wattenmeer, wo ich mit meiner Familie einige Sommerferien verbracht habe. Dass mir aber diese Meereskälte hier über der Elbe begegnet, ist mir zuvor und auch später nicht mehr vorgekommen. Fröstelnd lasse ich mich von der Touristenmeute vorwährts treiben. Mit einem langsam stärker werdenden Gefühl, dass die Natur etwas ganz Außergewöhnliches mit uns vor hat.

Dieser Eindruck wird nur kurze Zeit später bestätigt, als ich vor dem UCI-Kino eine Schlange von Strassenbahnen stehen sehe, vor denen die Fahrer mit einigen Fahrgästen diskutieren. Als ich bei einem dieser Gespräche zuhöre, erfahre ich, dass auf der Kreuzung hinterm Hauptbahnhof, der nur einige hundert Meter von hier entfernt ist, schon das Wasser aus dem Gulli nach oben gestiegen ist. Und eine richtige Katastrophe vielleicht noch bevorsteht, wenn der Autotunnel vorm Hauptbahnhof mit Wasser völlig zugelaufen ist, der im Moment noch als Wasserpuffer das Schlimmste verhindert.

Einmal kurz nicht aufgepasst und ich trete in eine schöne große Pfütze hinein und kann mich über einen nassen Schuh ärgern. Am Hauptbahnhof sehe ich dann mit eigenen Augen das gerade Gehöhrte bestätigt. Der Autotunnel und die Kreuzung sind mit Bändern abgespeert und wie bei einem Springbrunnen sprudelt das Wasser aus dem Gulli heraus und um ihn herum hat sich schon ein kleiner See gebildet. Kurz darauf erreiche ich mit fast noch trockenen Füßen das Studentenwerk.

Nach ein bis zwei Stunden habe ich die lästigen Behördengänge hinter mich gebracht. Vor dem Studentenwerk treffe ich Frank, der mir eine Menge zu berichten hat!

Fortsetzung folgt